Urteil Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Pflegebedürftige müssen auf Komfort verzichten
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden: Pflegebedürftige müssen Abstriche bei ihrer Betreuung machen, wenn die nationalen Pflegekassen dadurch Geld sparen können. Eine Pflegebedürftigkeit allein ist also noch kein Freibrief für eine kostspielige Sonderbehandlung durch die Träger der Sozialversicherung. Das Urteil dürfte wegweisend sein für die soziale Rechtsprechung in Europa (Az. 4241/12).
Eine heute 70 Jahre alte Britin hat auf nächtliche Betreuung durch eine Pflegekraft geklagt. Aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit war es ihr nicht möglich, allein zur Toilette zu gehen. Die teure Unterstützung durch einen Pfleger, der Tag und Nacht an ihrer Seite sein musste, wollte die britische Sozialversicherung nicht mehr länger bezahlen. Vielmehr verlangte man die Nutzung eines Inkontinenzkissens, um insbesondere die nächtliche Betreuung zu vermeiden. Die Britin sah sich allerdings in ihren Menschenrechten verletzt und trieb das Verfahren bis vor das oberste europäische Gericht für Menschenrechte. Das Gericht folgte nun aber der Meinung der Vorinstanzen und wies die Klage ab. Die Begründung war recht eindeutig: Obwohl die Klägerin nicht unter Inkontinenz leide, könne ihr die Nutzung eines Inkontinenzkissens in der Nacht abverlangt werden. Das Recht der Sozialgerichte, für Pflegefälle Geld zu sparen, sei wichtiger zu werten als die Wahrung der Menschenrechte in diesem Einzelfall. Deshalb müsse sie die Unannehmlichkeit leider in Kauf nehmen und in der Nacht ein Inkontinenzkissen nutzen.
Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die Rechtsprechung auf weitere Fälle dieser Art hat. Grundsätzlich ist es als löblich anzusehen, dass den Trägern der sozialen Pflegeversicherung ein Recht auf wirtschaftliches Handeln eingeräumt wird. Nur so ist es möglich, den zunehmenden Bedarf an Pflege auf Dauer wirtschaftlich zu decken. Dennoch dürfte es interessant sein zu sehen, welche Urteile diese Entscheidung nach sich ziehen wird. Würde dieser wirtschaftlich beeinflusste Ansatz aber konsequent verfolgt, dürfte die Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung nicht in jeder politischen Debatte zum Reibungspunkt werden.